In den zurückliegenden Monaten mussten die meisten Berater corona-bedingt ihr Business teilweise neu ausrichten – auch ich. In dem folgenden Tagebuch beschreibe ich die Entwicklungsprozesse, die ich als Person mental und meine Unternehmung als Organisation seit Januar 2020 durchliefen, in komprimierter Form und mit einem Schuss Selbstironie.
24. Januar 2020: Ich sitze am Freitagabend in meinem Büro und plane die kommende Arbeitswoche. Im Hintergrund läuft ein Radio-Sender. Beim Blick in meinen Kalender bin ich zufrieden: Meine Grundauslastung für das Jahr stimmt; außerdem sind ausreichend neue Projekte in der Pipeline. Meine Kunden sind offenbar zufrieden mit meiner Arbeit. Also beauftragen und empfehlen sie mich weiter. Auch meine Investitionen im Marketingbereich zahlen sich anscheinend aus. Während ich in meinen Kalender blicke, höre ich im Radio nebenbei: Das neuartige Corona-Virus hat Europa erreicht. In Frankreich gibt es die ersten bestätigten Erkrankungsfälle. Beunruhigen tut mich dies nicht. Dabei ist die französische Grenze nur 30 Kilometer von Neustadt an der Weinstraße entfernt.
27. Januar: Die erste erfasste Corona-Erkrankung in Deutschland wird aus dem Landkreis Starnberg gemeldet, und ein Kunde spricht mich erstmals beim Telefonieren beiläufig auf Corona an. Er sagt halb scherzhaft: „Vielleicht müssen wir ja unseren Ende April geplanten Führungskräfteworkshop verschieben“. Ich stimme ihm lachend zu. Beschlüsse fassen wir nicht.
15. Februar: Frankreich meldet den ersten Todesfall in Europa. Größere Gedanken mache ich mir darüber nicht. Schließlich stirbt permanent jemand auf dieser Welt.
23. Februar: Italien riegelt aufgrund der rasant steigenden Zahl der nachgewiesenen Infektionen die Städte im Norden ab und erlässt weitreichende Ausgangsbeschänkungen. Ich sage zu meiner Frau Nikola: „Das ist ja krass, was da in Italien passiert.“ Auch sie ist betroffen. Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster und registriere: In der „deutschen Toskana“, also an der Deutschen Weinstraße, blühen vermutlich bald die ersten Mandelbäume.
Das Virus rückt näher und wird allmählich bedrohlich
27. Februar: Der neu eingerichtete Corona-Krisenstab der Bundesregierung tagt erstmals. Die Reisemesse ITB wird abgesagt. Die Schweiz verbietet Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Menschen. Allmählich wird mir klar: Ein größeres Problem kommt auf uns zu, zumal inzwischen bei vielen Unternehmen – zum Beispiel ZF, BMW und Wacker – die ersten Mitarbeiter erkrankten und immer mehr Kunden das Thema im Gespräch mit mir erwähnen.
2. März: Der erste Kunde fragt bei mir an, ob wir einen für Ende April geplanten Führungskräfte-Workshop corona-bedingt verschieben können: Wir verschieben ihn.
9. März: Italien erklärt wegen der hohen Zahl der Corona-Infizierten das ganze Land zur Sperrzone. Der Dax verzeichnet aufgrund dieser Nachricht den höchsten Tagesverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Beunruhigt frage ich mich: Was rollt da auf uns zu? Welche Auswirkungen hat dies auf meine Arbeit? Mir wird bewusst, wie fragil unsere Lebenskonstrukte sind und wie rasch sich vieles in kurzer Zeit ändern kann. Erstmals verspüre ich Sorgen um die Gesundheit meiner Familie.
13. März: Seit gestern moderiere ich einen Workshop bei einem meiner ältesten Kunden im Schwabenland. „Corona“ ist sehr nahegerückt. Es werden keine Hände mehr geschüttelt, wie ungewohnt; zugleich wird jedoch wie üblich, wenn eindeutige Infos fehlen, viel spekuliert. Auf der Heimreise suche ich gezielt ein leeres Zugabteil auf. Meine Frau ruft an und berichtet: Ab kommender Woche sind in Rheinland-Pfalz die Schulen, Kitas und womöglich auch Geschäfte, die keine Lebensmittel verkaufen, geschlossen. Also müssen meine Frau und ich mehr Zeit für die Betreuung unserer fünf- und zehnjährigen Jungs aufbringen. Da werden wir ganz schön jonglieren müssen, weil wir beide als Berater, Trainer und Coaches noch recht volle Terminkalender haben. Doch in der letzten Woche stieg die Zahl der Anrufe und Mails von Kunden mit Auftragsstornierungen oder der Bitte, Termine zu verschieben. Mir schwant: Bald werde ich mehr Zeit als mir vielleicht lieb ist für die Kinderbetreuung haben.
Ich schalte allmählich in den „Krisenmodus“ um
15. März: Übers Wochenende dachte ich intensiv darüber nach, wie ich einen Teil meiner Trainings-und Beratungsleistungen digitalisieren kann, auch weil ich registrierte: Meine Frau Nikola, die primär als Coach arbeitet, hat im Gegensatz zu mir, keine Auftragsstornierungen. Im Gegenteil! Die Coachinganfragen scheinen corona-bedingt sogar zu steigen. Der Grund: Sie coacht primär Einzelpersonen und Paare – und diese häufig auch per Telefon sowie mit solchen Tools wie Teams, Facetime und Zoom. Diese Arbeitsform ist deshalb weder für sie, noch ihre Klienten neu. Auch ich habe in den letzten Jahre schon „bei Bedarf“ Einzelcoachings per Telefon und Skype durchgeführt. Forciert habe ich dieses „Business“ aber nicht. Und inwieweit dies auch mit Gruppen klappt, was meine überwiegende Arbeit ist, das muss ich noch herausfinden.
16. März: Ich habe von der für Video-Konferenzen und Online-Trainings mit mehreren Teilnehmern benötigten Technik noch wenig Ahnung. Also treffe ich mich mit einem befreundeten IT-Dienstleister und lasse mich von ihm beraten. Ich beauftrage ihn, das nötige Equipment für mein Büro zu besorgen, damit ich zumindest technisch einsatzfähig bin. Zeitgleich entwerfe ich erste Konzepte, wie ich meine Angebote online durchführen könnte. Ich verspüre diesbezüglich eine große Unsicherheit. Und insbesondere nachts beschäftigen mich die Fragen: Kann ich meine Familie vor „Corona“ schützen? Kann ich sie weiter so gut wie in den letzten Jahren versorgen? Der intensive Austausch mit meiner Frau, man könnte auch ihr Coaching sagen, hilft mir mich meinen Ängsten zu stellen und die notwendigen Veränderungen umzusetzen.
17. März: Ich konnte kurzfristig einige befreundete Manager und Unternehmer dafür gewinnen, mit mir angedachte künftige Formate meiner Arbeit und die Konferenztechnik in „Live-Online-Sessions“ auszuprobieren. Ich will herausfinden, ob ich die Qualität meiner Arbeit auch „online“ halten kann, bevor ich diese Angebote meinen Kunden unterbreite. Es folgen drei lange, arbeitsreiche Tage. Dann klappt der Umgang mit der Technik und ich verspüre zunehmend Sicherheit beim Online-arbeiten. Das Fazit meiner Feedbackpartner lautet: „Es ist ungewohnt, doch überraschend, wie gut Training und Beratung über dieses Medium funktioniert.“ Völlig platt, doch ermutigt falle ich ins Bett.
Ist die Krise für mich als Berater ein Chance oder…?
20. März: Meine ersten Online-Produkte stehen, auch ihre Beschreibungen sind weitgehend formuliert. Aber auf meiner Webseite findet man von meinen digitalen Angeboten noch keine Spur. Zudem weiß ich nicht, wie ich mit diesen außer meinen Stammkunden, eventuell auch einige Neukunden erreiche. Also kontaktiere ich Bernhard Kuntz von der Marketingagentur Die PRofilBerater und bitte ihn um Unterstützung. Er erwidert, nachdem ich mein Anliegen geschildert habe, lachend: „Na, dann sind Sie vermutlich der einzige deutsche Berater, der die Krise tatsächlich als Chance nutzt. Die meisten reagieren auf die Auftragsstornos mit einem rigiden Cost-Cutting.“ Zum Lachen ist mir eigentlich nicht zumute, denn ob die Krise wirklich eine Chance für mich ist, das ist noch lange nicht klar.
23. März: Der Bund und die Länder einigen sich auf strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Der sogenannte Lockdown beginnt. Millionen Deutsche werden über Nacht Kurzarbeiter. Andere sind nur noch im Homeoffice tätig. Ich bin froh, dass meine Frau und ich in den letzten Jahren einige Euro zur Seite gelegt haben: Hungern werden wir in den nächsten Monaten nicht. Das ist beruhigend.
25. März: Ein schon länger geplanter Gruppencoaching-Termin findet erstmals per Videokonferenz statt. Ich freue mich, dass sich der Kunde, ein international tätiger Mittelständler, ohne zu zögern, darauf eingelassen hat. Seine spontane Rückmeldung: „Für unsere Führungskräfte sind Videokonferenzen nicht neu. Warum sollte das Coachen so nicht klappen? Wir probieren das einfach mal!“. Ich bin ein bisschen aufgeregt und froh, dass ich mir im Vorfeld viel Zeit zum Üben nahm. „Alles lief bestens“, meldet mir der Kunde anschließend zurück. Das deckt sich mit meinem Gefühl. Puh, ein Anfang ist gemacht.
26. März: Meine ersten Online-Beratungsangebote stehen auf meiner Webseite. Zudem ist meine erste diesbezügliche Pressemitteilung versandt. Auf eine allzu große Resonanz soll ich jedoch nicht hoffen, warnen mich die PRofilBerater; denn: Die Fachzeitschriften können die Meldung frühestens in ihren Mai-Ausgaben veröffentlichen. Zudem springen zurzeit sehr viele Berater panisch auf den Online-Zug auf. Deshalb werden die Print- und Online-Medien mit entsprechenden Pressemitteilungen überschwemmt. Das merke ich auch in meinem Mail-Eingang: Täglich erhalte ich vier, fünf Einladungen zu kostenlosen Webinaren von Beratern, die ich nicht kenne, die mir so ihre „Solidarität in der Krise“ beweisen möchten. Wie werden potenzielle Neukunden angesichts dieser Angebotsflut auf meine kostenpflichtigen Beratungsangebote reagieren? Ich vereinbare mit den PRofilBeratern auch meine Social-Media-Aktivitäten auszubauen, denn: „Von nix kommt nix“. Das ist mir klar.
Hurra, ich bin jetzt ein echter Online-Trainer & -Coach
27. März: Heute steht das erste Online-Training mit einer größeren Gruppe per Videokonferenz an. Ich bot allen Teilnehmern an, vor dem Termin die Technik und die Handhabung mit mir zu checken. Die meisten nehmen das Angebot wahr und in der Tat: Es gibt Probleme, doch wir können sie lösen. Das eigentliche Online-Training starten wir komplett und pünktlich. Je länger es dauert, desto sicherer fühle ich mich in meiner neuen Rolle als Online-Moderator und -Trainer. Es fängt an, Spaß zu machen, und die Kunden sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
30. März: Ich spreche mit meinem Steuerberater – unter anderem über die im Hilfspaket für die Wirtschaft, das die Bundesregierung am 22. März beschloss, enthaltene Soforthilfe. Ich hatte einen sehr guten Start ins Jahr 2020. Also beschließe ich, die Soforthilfe erst einmal nicht zu beantragen. Mein Auftragsbestand ist inzwischen zwar drastisch eingebrochen, doch nicht alle Aufträge wurden gecancelt: Einige Kunden haben sich auf eine Online-Arbeit eingelassen und noch habe ich Reserven. Da hat es einige Berufskollegen deutlich schlimmer erwischt. Dass ich die entstandenen Löcher vollumfänglich durch Online-Beratungsangebote stopfen kann, daran glaube ich jedoch nicht.
2. April: Der zweite, nun ganztägige, bezahlten Online-Workshop mit den Führungskräften eines Unternehmens steht an – obwohl mir Kollegen davon abrieten. Doch ich dachte: Lass‘ es mich mal ausprobieren; das Risiko ist überschaubar. Und wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Also konzipierte ich ein Workshop-Design, bei dem auf Sessions im Plenum Module folgen, bei denen die Teilnehmer entweder allein oder in Zoom-Gruppenräumen in Zweier- oder Dreier-Teams etwas ausarbeiten. Und dazwischen gibt es Pausen. Dieser Mix funktioniert. Das spüre ich und das bestätigen mir die Teilnehmer – auch wenn man am Design noch feilen kann. Ein „Learning“ ist: Beim nächstes Mal gibt’s mehr, aber dafür kürzere Pausen.
Die Unsicherheit ist in der Politik und Wirtschaft groß
7. April: Interessiert verfolge ich seit Wochen die allabendlichen Corona-Talkrunden im Fernsehen. Fasziniert registriere ich, wie weit die Meinungen und Einschätzungen solcher Experten wie der Virologen bezüglich des „neuartigen“ Corona-Virus auseinander gehen und sich im Zeitverlauf ändern. Und eingekeilt zwischen diesen Experten sitzen in den Talkshows stets Top-Politiker, die aufgrund dieser unsicheren Faktenlage so weitreichende Entscheidungen wie den Lockdown beschließen müssen: Sie haben in den zurückliegenden Wochen gewiss mehr als sonst in zwei, drei Legislaturperioden entschieden. Ich verspüre parteiübergreifend Bewunderung für sie – egal, wie sie heißen. Respekt nötigt mir auch ab, welche Ruhe sie nach einem extrem arbeitsreichen Tag noch in den abendlichen Talkrunden ausstrahlen – im Gegensatz zu einigen Experten und Beratern.
17. April: In den Tagen vor und nach Ostern habe ich mit einigen Entscheidern in Unternehmen per Videokonferenz „Strategieworkshops“ durchgeführt – sofern man die Workshops so nennen kann, denn aktuell haben fast alle Entscheidungen eine extrem kurze Halbwertszeit. In ihnen ging es meist darum, wie es in den Unternehmen weitergeht, nachdem die erforderlichen Akut-Maßnahmen, zum Beispiel zur Sicherung von deren Liquidität, ergriffen sind. Immer seltener wird von der Zeit „nach der Krise“ gesprochen, weil klar wird: Ihre Dauer ist unbestimmt. Und häufig taucht die Frage auf: Wie gehen wir als Führungskräfte mit Unsicherheit um – der eigenen und der von Mitarbeitern? Mir wird zunehmend bewusst, wie weit die Ist-Situation bei meinen Kunden auseinander klafft: Während in einer Klinik die Mitarbeiter aufgrund der vielen Arbeit nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, und ein Medizintechnik-Hersteller seine Produktion hochfuhr, ist bei anderen Unternehmen Kurzarbeit angesagt. Bei wieder anderen läuft alles weiter wie gehabt, außer dass die Arbeitsprozesse den nun geltenden Hygieneregeln angepasst wurden. Alle Unternehmen beschäftigt jedoch die Frage: Wie sehen in einem halben Jahr die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus? Bricht zum Beispiel die EU auseinander? Erhöhen die Staaten ihre Handelsbarrieren? Sind die nötigen Vorprodukte und Rohstoffe noch lieferbar? Hierüber lässt sich aktuell nur spekulieren.
In der Krise entwickelt sich ein gewohnter Alltag
19. April: Es ist Wochenende. Meine Frau und ich stellen fest, dass sich inzwischen bei uns ein gewisser Alltag in der Krise entwickelt hat. Unsere Belastung ist hoch, beruflich und privat. Wir können aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung nur versetzt arbeiten. Die Zeit, die ich ansonsten in Zügen und im Auto und bei Kunden verbracht habe, brauche ich für unsere Jungs, während meine Frau arbeitet. Bei allem Improvisieren und aller Unsicherheit freuen wir uns aber sehr darüber, dass wir als Familie und Kleinunternehmer recht gut mit der Situation klarkommen. Und apropos Jungs: Die spüren natürlich, dass uns viel bewegt; ich bin sicher nicht immer der präsente Vater, der ich gerne wäre, weil mir so viele Dinge durch den Kopf gehen.
20. April: In Deutschland treten die ersten vorsichtigen Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen in Kraft. Viele Bundesländer erlauben wieder das Einkaufen in Geschäften mit bis zu 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Erschreckt habe ich in den letzten Tagen registriert, wie allmählich wieder das gewohnte inner- und zwischenparteiische Gezänk beginnt und die Lobbyisten immer lauter ihre Forderungen artikulieren. Dabei sind seit dem Lockdown gerade mal vier Wochen vergangen, und zu Recht warnt unsere Bundeskanzlerin, so meine Meinung, vor voreiligen Lockerungen.
22. April: Ich plane ein firmeninternes Online-Training „Führung und Zusammenarbeit in Corona-Zeiten“ für einen Neukunden. Dass in Krisenzeiten so schnell aus einem neuen Kontakt ein Auftrag entstand, freut mich sehr. Mein Aufraggeber nutzt eine Software, die ich zwar getestet, aber wegen ihres wenig nutzerorientierten Handlings für mich verworfen habe. Nun muss ich mich doch intensiver mit ihr befassen und mir eine gewisse Routine im Umgang mit ihr aneignen.
24. April: Über Umwege erfuhr ich, dass von der Corona-Krise betroffene KMU kostenlos Beratungsleistungen im Wert von bis zu 4.000 Euro in Anspruch nehmen können – branchenübergreifend. Finanziert wird die Beratung zu 100 Prozent vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), und abgewickelt wird das Ganze über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Ich stricke ein entsprechendes Beratungsangebot. Parallel versuche ich die BAFA zu erreichen, um zu erfahren, wie man von ihr als Beratungsunternehmen akkreditiert wird. Doch ich erreiche niemand. Den ganzen Tag ist das Telefon besetzt. Also wühle ich mich, wie sicher viele meiner Kollegen, durch die Informationen, die online erhältlich sind.
27. April: Ich habe die nötigen Unterlagen bei der BAFA eingereicht. Wie lange das Genehmigungsverfahren dauert, kann mir niemand sagen. Schade, ich hätte das kostenlose Beratungsangebot gerne als „Goodie“ für einige Stammkunden und Akquiseinstrument bei Neukunden genutzt.
Die Betriebe bereiten sich auf das Lockdown-Ende vor
4. Mai: Ich halte bei meinem Neukunden das firmeninterne Online-Training „Führung und Zusammenarbeit in Corona-Zeiten“. Während der Veranstaltung kommt zufällig zur Sprache, dass es bei der genutzten Software jedem Teilnehmer möglich ist, Mitschnitte zu machen. Shit, das hatte ich nicht auf dem Radar! Wir versichern uns gegenseitig posthum, davon keinen Gebrauch zu machen, doch künftig muss ich dieses heikle Thema aktiv ansprechen und klären.
7. Mai: Bei meinen wöchentlichen Video-Calls mit einigen Stammkunden merke ich, wie sich angesichts des sich abzeichnenden Endes des Lockdowns und der allmählichen Rückkehr in den Regelbetrieb die Themen ändern, die den Teilnehmern auf den Nägeln brennen. So sorgt es in einigen Betrieben für Spannungen, dass ein Teil der Mitarbeiter es kaum erwarten kann, wieder live zusammen zu arbeiten, ein anderer möchte lieber weiterhin – zumindest partiell – zu Hause arbeiten. In anderen Unternehmen ist Kurzarbeit ein großes Thema. Es wird in der Belegschaft lebhaft darüber diskutiert, wieso einige Kollegen voll arbeiten und 100 Prozent Gehalt bekommen, während andere daheimbleiben und mit dem Kurzarbeiter-Geld auskommen müssen. Auch die Frage muss geklärt werden: Wie kann man bei Aufnahme des Regelbetriebs die vorgeschriebenen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen einhalten? Zunehmend wird mir klar: Die Rückkehr zum Regelbetrieb stellt die Führungsmannschaften vor viele neue, bisher ungekannte Fragen und Herausforderungen.
14. Mai: Ich spreche mit einem Kunden, dessen Unternehmen am 20. Mai wieder in den Regelbetrieb zurückkehrt, ob wir künftig die zweiwöchentlichen Führungskreis-Treffen, die ich moderiere, wieder als Präsenzveranstaltung durchführen sollen. Seine Antwort: „Ach nein, lassen sie uns diese vorläufig mal wie in den letzten zwei Monaten als Video-Konferenz durchführen.“ Ich merke, dass ich über diese Antwort nicht unerfreut bin. Schließlich entfallen dadurch für mich zwei Stunden Reisezeit. Zudem sind die Kitas und Schulen noch geschlossen, also bin ich weiterhin verstärkt als „Erzieher“ gefragt.
Toll, ich halte wieder mein erstes Präsenzseminar
15. Mai: Ich führe in einem Tagungshotel mein erstes firmeninternes Präsenzseminar seit dem Lockdown durch. In ihm trägt niemand Mundschutz, doch alle Anwesenden achten genau darauf, den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einzuhalten. Entsprechend wurde auch der Tagungsraum bestuhlt. Nach den vielen Wochen mit Kontakt-Einschränkung vermittelt das Präsenzseminar ein Gefühl der „Normalität“. Und für die Hotelinhaber bedeutet es die ersten Einnahmen seit Mitte März. Alles in allem klappt es recht gut, wenn auch manche Situationen etwas „spooky“ wirken: Beim Mittagessen sitzt jeder Teilnehmer an einem separaten Tisch. Auch das gemeinsame Feierabendbier in der Hotelbar entfällt. Ich stelle mir vor, der der Workshop hätte online stattgefunden, und bin mir sicher: Auch das hätte gut funktioniert. Hierüber spreche ich in der Abschlussrunde mit den Teilnehmern. Auch sie können sich vorstellen, dass künftig mehr Trainings online stattfinden. Und ich bin mir sicher: Das wird künftig so sein.
23. Mai: Ich ziehe im Gespräch mit meiner Frau eine Art Zwischenbilanz. Ich muss gestehen: Meine Umsätze sind, Stand heute, deutlich niedriger als vor Ausbruch der Corona-Krise. Es hat sich jedoch auf alle Fälle gelohnt, dass ich recht früh, noch vor dem Lockdown, Zeit und Geld in den Auf- und Ausbau meiner Online-Trainings- und -Beratungskompetenz investierte: Einige für meine Kunden wichtige Prozesse – und für mich wichtige Aufträge – konnten deshalb fast nahtlos weitergehen. Zum Glück! Mir war zwar schon vor der Corona-Krise klar: Die digitale Transformation der Wirtschaft macht auch vor der Beraterbranche nicht Halt, doch denken und handeln sind auch bei Beratern zuweilen zweierlei. Um zu entscheiden, was dieses Wissen für meine Arbeit bedeutet und die Beschlüsse konsequent umzusetzen, bedurfte es den Anstoßes „Corona-Virus“. Dankbar bin ich dem Virus hierfür nicht. Dafür ist der gesellschaftliche und wirtschaftliche Preis zu hoch. Dass ich mich aber, als es anfing, brenzlig zu werden, so schnell auf die neue Herausforderung einstellte, macht mich stolz.
25. Mai: Eine neue Arbeitswoche beginnt. Über die BAFA-Förderung gibt es inzwischen Meldungen aus seriöser Quelle, dass dieses Programm eingefroren wurde – weil die Flut der Anträge, worunter auch viele unseriöse waren, das hier vorgesehene Budget bei Weitem sprengte und das BAFA personell für diesen Ansturm nicht gerüstet war. Verständlich, aber auch schade, weil viele Unternehmen in Krisenzeiten, die Marktumbruchzeiten sind, einen Blick von außen und eine gute Beratung brauchen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Zum Glück waren die subventionierten Beratungen nicht das einzige Pferd, auf das ich in den letzten Wochen setzte. Ansonsten würde ich jetzt innerlich zittern. So bereite ich mich aber ruhig auf den wöchentlichen Video-Call mit den Führungskräften eines Stammkunden vor, der in einer halben Stunde beginnt.
Womit überrascht uns „Corona“ noch?
30. Mai: Heute beginnt das Pfingstwochenende. Bevor mich gleich meiner Familie widme, checke ich in meinem Büro den Maileingang. Im Spamordner finde ich zahlreiche Mails, in denen mir Gesichtsschutzmasken zum „Sonder-Dumping-Preis“ angeboten werden. Da haben sich anscheinend einige „clevere Geschäftlemacher“ verzockt. Das hoffe ich zumindest! Die Mails zeigen mir aber auch, wie viel sich aktuell in unserer Gesellschaft in kürzester Zeit ändert. Wurden vor wenigen Wochen Masken noch in Gold aufgewogen, so mutieren sie inzwischen wieder zur Cent-Ware. Ich bin gespannt, was uns Corona noch bringt. Doch jetzt gehe ich erst mal mit meinen Jungs in unsere Werkstatt. In meinem allerersten Beruf bin ich Zimmerer und handwerke noch immer gerne; meine Jungs mögen das auch. Meine Frau hat so mal Zeit für sich.
4. Juni: Gestern verständigten sich die Spitzen der Koalition auf ein Konjunkturpaket -– nach 21 Stunden Verhandlungen, was für ein Stress. Unter anderem wird bis Jahresende die Mehrwertsteuer gesenkt. Die Kaufprämien für klima- und umweltfreundliche Elektroautos werden verdoppelt; auch der Kauf von klimafreundlichen Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen wird gefördert. Zudem sind weitere „Überbrückungshilfen“ im Umfang von 25 Milliarden Euro für corona-bedingt notleidende Betrieb geplant. Insgesamt 130 Milliarden Euro zur Stimulierung der Konjunktur will der Staat nochmals locker machen. Mir wird bei solchen Summen schwindelig. Doch der Wirtschaft wird das gut tun. Und der DAX? Er hat mit fast 12500 Punkten nahezu wieder seine alten Höchststände erreicht.
5. Juni: Verrückte Welt! Heute Morgen sprach ich mit einem Top-Manager bei einem Medizintechnik-Hersteller. Er sagte mir auf den Punkt gebracht, er könne das Krisen-Gebabbel nicht mehr hören. Seinem Unternehmen habe die Corona-Krise bisher nur randvolle Auftragsbücher beschert, wenn man davon absähe, dass es aufgrund der nun geltenden Infektionsschutz- und Hygieneregelungen einige Arbeitsabläufe „leicht modifizieren“ musste. Heute Nachmittag telefonierte ich dann mit einer oberen Führungskraft bei einem Automobilindustriezulieferer. Er stand unter Strom. Er klagte unter anderem darüber, welche Spannungen in seinem Unternehmen dadurch entstünden, dass manche Mitarbeitergruppen „schon wieder regulär arbeiten dürfen und ihr volles Gehalt nebst Schichtzulagen usw. bekommen, während andere noch zuhause Däumchen drehen und nur Kurzarbeitergeld beziehen“. Sein Fazit: „Die Leute brauchen das Geld; sie wollen arbeiten.“ Nach dem Telefonat berichte ich meiner Mitarbeiterin und Kollegin, der Wirtschaftspsychologin Meike Silaghi, die mich auch beim Marketing und der Kundenbetreuung unterstützt, von den beiden Gesprächen. Ihre Antwort: „Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in den vergangenen Wochen. Echt wichtig, dass wir bei der Kundenansprache stets im Hinterkopf haben, wie unterschiedlich aktuell deren Situation und somit Bedarf ist.“ Wie Recht sie damit hat!
8. Juni: Ich kümmere mich zuhause mal wieder um unsere Jungs. Jakob, 10 Jahre, geht zwar wieder zur Schule, doch eine Nachmittagsbetreuung gibt es nicht. Und die Kita unseres Jüngsten: Lukas – 5 Jahre? Sie ist noch geschlossen. Also halte ich die Stellung, wenn meine Frau als Coach im Einsatz ist. Ihr Business läuft gut. Fast könnte man sagen, sie ist eine Krisengewinnlerin. Durch die Krise gewann sie neue Kunden in der regionalen Hotellerie und Gastronomie sowie Tourismusindustrie, die in einer Zeit, in der es zum Beispiel keine Weinfeste mehr gibt, ihre Geschäfts- und Vermarktungsstrategien überdenken müssen. Außerdem erwuchsen bei einigen ihrer Stammkunden aus den corona-bedingten beruflichen und unternehmerischen Problemen auch private Probleme – zum Beispiel im Beziehungsbereich. Also stieg auch hier der Coachingbedarf.
11. Juni: Heute ist Fronleichnam – also Feiertag. Ich blättere in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift wirtschaft+weiterbildung“. Mein Blick bleibt an der Überschrift einer Meldung hängen: „Corona-Krise erreicht die Consulting-Branche“. Darin steht, dass laut einer Befragung des BDU seiner Mitglieder die Beraterbranche die Auswirkungen der Corona-Krise schon im 1. Quartal 2020 spürte. Insgesamt seien in ihm 13 Prozent der Projekte storniert wurden. Im 2. Quartal werden es gewiss weit über 50 Prozent sein – da bin ich sicher. Ich muss beim Lesen der Meldung schmunzeln. So museal wirkt sie Stand heute. Die Meldung endet mit dem Satz: „Auch ein Beratungsfeld wie die Sanierungsberatung, die in Krisenphasen in der Regel besonders nachgefragt wird, meldet schlechte Geschäfte.“ Ich hoffe, dass dies so bleibt, weil die krisengeschüttelten Geschäftsmodelle vieler Unternehmen sich mittelfristig auch ohne Subventionen wieder als tragfähig erweisen. Ob das so kommt, ist im Moment allerdings noch Kaffeesatz-Leserei.
14. Juni: Es ist Sonntag. Meine Frau hirnt mit mir darüber, wie wir in der kommenden Woche die Betreuung unserer Jungs gewährleisten können. Sie hat zahlreiche Coachingtermine und ich falle von Montag bis Mittwoch als „Betreuer“ aus. Der Grund: Ich halte dann mein erstes dreitägiges Seminar für einen Stammkunden nach dem Lockdown, bei dem ich aufgrund der Entfernung auch im Tagungshotel übernachte. In den zurückliegenden Monaten, in denen ich weitgehend in unserem Büro arbeitete, war die Kinderbetreuung nach gewissen Startschwierigkeiten kein Problem. Doch in den nächsten Wochen, wenn meine Reisetätigkeit wieder zunimmt, wird sie dies werden. Auf meine Frau kommt definitiv eine stressige Woche zu. Also schnappe ich mir unsere Jungs und gehe mit ihnen aufs „Weinbiet“, den Neustadter Hausberg, damit meine Frau einen ruhigen Nachmittag hat.
Wie wird die Corona-Zeit in die Geschichte eingehen?
17. Juni: Der Tag, der bis 1990, also bis vor 30 Jahren, ein Jahr nach dem Mauerfall, der Tag der deutschen Einheit war. Es ist fast 11 Uhr abends. Ich bin von meiner Seminartour gerade zurückgekehrt. Das Seminar lief gut, und es hat Spaß gemacht, meine Kunden mal wieder „live“ zu treffen. Ich sitze mit meiner Frau auf dem Sofa bei einem Glas Wein; unsere Jungs schlafen. Wir sind beide hundemüde – ich auch aufgrund der 3,5-stündigen Autofahrt nach dem Seminar. „Wie gemütlich war doch die Zeit nach dem Lockdown, als wir beide abends fast regelmäßig gemeinsam zur Tagesschau vor’m Fernseher saßen.“, sage ich halb ironisch, halb ernst zu meiner Frau. Wir lachen beide. Wie werden wir als Gesellschaft in 30 Jahren über „Corona“ denken, frage ich mich. Die Antwort weiß ich nicht. Ich weiß nur, die Zeit nach dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung sowie die staatlichen Maßnahmen, die damals ergriffen wurden, werden auch heute noch sehr unterschiedlich bewertet. Ähnlich wird es vermutlich bei Corona sein.