Unternehmensführung: „Change Management im Weinkeller“

Das nachfolgende Doppelinterview ist ein kompaktes Projektbeispiel und gibt einen guten Einblick in meine Herangehens- und Arbeitsweise. Ich freue mich, wie immer, über Feedback!


Gerhard Brauer, geschäftsführender Vorstand der „Ruppertsberger Weinkeller Hoheburg eG“ und Chef von ca. 130 Mitarbeitenden und ich besprechen Ausgangssituation und Ziele.

Nicht nur den Wein, auch die Führung in dem ihm anvertrauten Unternehmen immer weiter verbessern – das möchte Gerhard Brauer, der geschäftsführende Vorstand der Winzergenossenschaft Ruppertsberger Weinkeller Hoheburg eG. Ein Interview mit ihm und dem Organisationsberater Klaus Doll, der die Genossenschaft auf diesem Weg begleitet

? Herr Brauer, wie kam Ihre Genossenschaft bislang durch die Corona-Krise?

Brauer: Recht gut. Unsere Kunden sind von uns ein zeitgemäßes Angebot, eine gleichbleibend gute Qualität, eine hohe Liefertreue und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis gewohnt. Entsprechend treu sind sie. Zudem werden unsere Weine unter anderem auch in Skandinavien, dem Baltikum, in England und China gerne getrunken. Wären wir nur in der hiesigen Gastronomie oder im deutschen Lebensmitteleinzelhandel unterwegs, hätten wir mehr Probleme.

Erfolgsfaktor Unternehmensführung

 ? Das klingt nach einem guten Krisenmanagement.

Brauer: Unter einem gutem Krisenmanagement verstehe ich, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Das ist schwierig, wenn sich wie aktuell die Rahmenbedingungen permanent kurzfristig ändern. Seit Jahren fokussiere ich mich aber beim Bestreben, unser Unternehmen zukunftssicher aufzustellen, auch auf die Unternehmensführung. Das hat sich im bisherigen Krisenverlauf ausgezahlt.

? Was verstehen Sie unter „zukunftssicher aufstellen“?

Brauer: Zum einen bedeutet dies, die Zeichen der Zeit im Anbau und bei der Weinstilistik zu berücksichtigen. Deshalb tauschen wir uns intensiv mit unseren Kunden und den Mitgliedern der Genossenschaft aus, um künftige Erwartungen an uns früh zu erkennen. Zum anderen bedeutet es, technisch auf der Höhe zu sein, unsere Kundenbeziehungen zu pflegen und neue Märkte zu erschließen. Der Schlüsselfaktor sind aber unsere Mitglieder und Mitarbeiter.

Fachliche, persönliche und soziale Kompetenz gefragt

? Wieso?

Brauer: Vom Weinberg bis zum Kunden ist es ein weiter Weg. Eine vermeintlich kleine Fehlentscheidung kann nicht nur einen Teil der Ernte ruinieren. Deshalb sind bei der Betriebsführung neben den fachlichen auch persönliche und soziale Kompetenzen gefragt – auf allen Ebenen.


Christoph Schwertl, der technische Betriebsleiter, unterstützt mich beim Verständnis der Abläufe und Prozesse

? Inwiefern?

Brauer: Nun, das meiste in unserer Genossenschaft ist Teamarbeit. Sich aufeinander verlassen zu können, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, sich gegenseitig zu vertrauen, sorgsam und eigenverantwortlich zu handeln und zugleich gut zu kooperieren, sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Mit Technik allein kommt man nicht ans Ziel. Wichtig ist auch die Unternehmens- und Führungskultur.

? Wie entwickeln Sie diese?

Brauer: Wir schreiben uns das selbst auf die Fahne und engagieren hierfür auch immer wieder externe Berater, die unser Handeln aus externer Perspektive beleuchten und uns Impulse geben, denn: Wir wollen nicht nur bei unseren Produkten zeitgemäß unterwegs sein, sondern auch bei den Themen Führung und Zusammenarbeit.

? Seit einiger Zeit arbeiten Sie mit dem Organisationsberater Klaus Doll zusammen. Wie kamen Sie auf ihn?

Brauer: Viele Berater sind auf Themen wie Shopfloor Management und Innovation oder Methoden wie KVP spezialisiert. Solche Berater beherrschen in der Regel ihre Methode bzw. ihr Thema aus dem Effeff – wie ein Facharzt. Wir brauchen als mittelständischer Betrieb aber, um im Bild zu blieben, eher einen erfahrenen Allgemeinmediziner – also jemand, der sich das Unternehmen als Ganzes anschaut; außerdem einen Berater, der einen Blick dafür hat, welche Veränderungen in dem System auch realistisch sind und die Menschen hierfür gewinnen kann.


Planbare und performante Leistungen in der Abfüllung war eines der wichtigsten Ziele zum Anfang. Hier zusammen mit Christoph Schwertl und Wolf Brickenkamp, der die Abfüllung leitet.

Wissen allein ist nicht genug

? Also eher einen Allrounder?

Brauer: Ja, denn Kulturveränderungen, die auch Denk- und Verhaltensveränderungen erfordern, sind ein komplexer und langwieriger Prozess. Um diesen erfolgreich zu gestalten, bedarf es spezieller Kompetenzen. Die bringt nicht jeder Berater mit. Also hielt ich nach einem Berater Ausschau, der thematisch breiter aufgestellt ist; außerdem einem Berater, der mit den Beteiligten auch die gewünschten Veränderungen nachhaltig umsetzt, denn erst die Umsetzung bringt uns den gewünschten Nutzen.

? Herr Doll, wie sorgen Sie als Berater dafür, dass auf die Worte bzw. Erkenntnisse auch Taten bzw. reale Veränderungen folgen?

Klaus Doll: Diese Frage kann ich nicht mit einem Satz beantworten. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel erläutern. Die Ausgangssituation, wegen der ich bei der Winzergenossenschaft Ruppertsberger Weinkeller ins Spiel kam, war: Die täglichen Mengen in der Abfüllung schwankten wie ein Betrunkener beim Weinfest.

? Also ein akutes betriebliches Problem?

Doll: Ja, denn diese Schwankungen machten es für das Unternehmen schwierig, zu planen und Liefertermine einzuhalten. Zudem bedeuteten sie für die Mitarbeiter in der Abfüllung, wenn man trotzdem die Kunden verlässlich bedienen will, oft Überstunden. Auch für den Einkauf, die Logistik und Kellerwirtschaft resultierte hieraus Mehrarbeit.


Workshops in Corona Zeiten: Ungewöhnlich, aber es funktioniert

? Also letztlich Stress bei allen Beteiligten?

Doll: Ja, und das Blödeste an einer solchen Situation ist: Selbst wenn letztendlich trotzdem alles klappt, sind alle Beteiligten frustriert, weil sie denken „Muss dieser Stress denn immer sein? Der ist doch völlig überflüssig“. Das heißt, niemand ist auf das Geleistete stolz. Das zu ändern, war sozusagen mein erster Auftrag.

Auf die Beteiligten hören und sie ins Boot holen

? Und wie gingen Sie dabei vor?

Doll: Bei solchen Projekten frage ich in der Regel zunächst die Beteiligten, was aus ihrer Sicht gut, was weniger gut und was schlecht läuft: Nicht einzeln, sondern zusammen.

? Also funktionsübergreifend?

Doll: Ja. Ich höre mir an, was die Leute sagen und nehme auch wahr, was unausgesprochen bleibt. Anhand der Inhalte und der Art, wie sie in diesem Kontext miteinander umgehen, entwickle ich Thesen, wie es im Betriebsalltag zugeht und konfrontiere die Beteiligten mit ihnen. Außerdem frage ich sie, was wer aus ihrer Sicht anders machen sollte, welche Maßnahmen wichtig wären, um die Zusammenarbeit und Abläufe zu verbessern. Ich sorge also dafür, dass das, was im Alltag selten offen ausgesprochen wird, artikuliert wird.

? Das klingt simpel.

Doll: Ist es auch, zumindest am Anfang. Als Berater müssen sie aber auch wissen, was sie tun, wenn ihnen Beteiligte zum Beispiel erklären, dass sie selbst stets alles richtig machen, die anderen aber regelmäßig große Probleme verursachen. Dann müssen sie ihnen die uncharmante Botschaft nahebringen, dass Teamarbeit auch heißt: Jeder hat

nicht nur am Erfolg, sondern auch Misserfolg seinen Anteil. Und im weiteren Verlauf müssen sie die Leute dazu bringen, dass jeder mit Nachdruck genau an diesen seinen Anteilen arbeitet und dabei auch die Perspektiven der anderen wahr- und ernstnimmt.

? Die Veränderungsenergie muss also zunächst erzeugt und dann im Prozessverlauf hochgehalten werden – auch bei Rückschlägen. Das klingt schon schwieriger.

Doll: Ist es auch, aber nicht unmöglich. Das Erfolgsrezept ist eine Mischung aus geschicktem Handwerk, Empathie und Training.


Auch ein motiviertes Backoffice ist wichtig für nachhaltigen Erfolg

Die Menschen und ihre Leistung wertschätzen

? Wäre da der Rückgriff auf eine Methode wie zum Beispiel „Agilität“ nicht einfacher?

Doll: Dieser Modebegriff beschreibt keine Methode, sondern ein Entwicklungsziel. Und dem damit verbundenen Heilsversprechen stehe ich eher skeptisch gegenüber.

? Warum?

Doll: Solche Heilslehren bauen meist auf der Grundannahme auf, dass die Mitglieder einer Organisation bisher alles falsch gemacht haben und sich alles über Nacht zum Positiven wendet, wenn diese dies einsehen und ihren Mindset ändern. Das zeugt von einer geringen Wertschätzung gegenüber der bisherigen Leistung der Mitarbeiter und führt auch deshalb letztlich zum Scheitern vieler Veränderungsprozesse.

? Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Doll: Ja. In den 90iger Jahren wurden die „Teilautonome Gruppenarbeit“ als der Lösungsweg propagiert. Die Grundidee dahinter, dass die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen, war und ist auch heute noch richtig. Trotzdem scheiterten viele Projekte zu ihrer Einführung.

? Wieso?

? Doll: Unter anderem weil keine realistische Einführung der Teilautonomen Gruppenarbeit stattfand.

? Das heißt?

Doll: Die wesentliche Arbeit ist es in der Regel nicht, solche Methoden und die damit verbundenen Ziele den Menschen so zu erklären, dass diese sie verstehen. Das erschließt sich dem gesunden Menschenverstand. Der Knackpunkt ist die Umsetzung im Betriebsalltag. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass jeder zunächst vor seiner eigenen Tür kehren sollte statt stets auf die bösen Anderen zu verweisen, dann wird es schwierig, denn dann beschäftigt man sich mit dem eigenen Verhalten im Hier und Jetzt und nicht in einer fernen, agilen Zukunft. 

Ziel: die eigene Wirksamkeit erhöhen

? Was braucht es für eine nachhaltige Veränderung?

Doll: Zunächst einmal eine hohe Wertschätzung für die Menschen, ihre Erfahrungen und Kompetenzen; zugleich bei Bedarf aber auch den Mut zur Konfrontation. Die Hauptarbeit besteht aber darin, den Leuten klar zu machen, wo die Intentionen ihres Verhaltens nicht kongruent mit dessen Wirkung sind. Wenn sie diesen Zusammenhang verstehen, sind sie auch bereit, gemeinsam Alternativen zu erarbeiten, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen.

? Das klingt nach echter Arbeit!

Doll: Ja, denn nach der Erkenntnis fängt die Arbeit erst richtig an. Vielen Verantwortlichen fehlt hierzu die Geduld, und sie lassen sich deshalb von den Heilsversprechen verführen, die „Methoden-Freaks“ oftmals verbreiten. Das ist nicht selten fatal, denn mit jedem nicht-erfolgreichen Versuch zur Veränderung sinkt die Bereitschaft der Belegschaft, sich auf die nächste Methode einzulassen. Zum Glück waren und sind die Erwartungen von Herrn Brauer realistisch.

? Wie ist es bei den Ruppertsbergern bisher verlaufen? Gibt es bereits Erfolge?

Brauer: Herr Doll arbeitet zurzeit mit den Führungsverantwortlichen in der Abfüllung. Was er genau da macht, weiß ich im Detail nicht, doch es funktioniert: Erfolge gibt es definitiv.


Erste Erfolge spornen dazu an, sich weiterzuentwickeln

Die Lust auf das Sich-verändern wecken

? Nennen Sie mir bitte ein Beispiel?

Brauer: Gerne! Von der Führungsmannschaft kam nach einiger Zeit der Impuls, verstärkt mit Zahlen zu arbeiten – zum Beispiel: Wieviel müssen wir im Zeitraum X abfüllen? Dabei spielen selbstverständlich die Chargengrößen ebenso eine Rolle wie die Komplexität. Manche Weine lassen sich einfacher abfüllen als andere, weil die Flaschenformen oder Etiketten einfacher zu verarbeiten sind. Das wurde beim Vereinbaren der Kennzahlen berücksichtigt. So entstand mehr Klarheit in Bezug auf die wechselseitigen Erwartungen. Die absoluten Zahlen sind heute stabiler und höher, sodass wir 2020 erstmals seit langem, recht entspannt in die Erntezeit gehen konnten. Und was mich besonders freut ist: Die Stimmung aller Beteiligten hat sich verbessert, weil durch solche Maßnahmen mehr Planungssicherheit und weniger Stress entsteht. Auch der Stolz auf eigene Leistung ist gestiegen.

? Es wurden also mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Brauer: Ja.

? Ist das Projekt damit zu Ende?

Brauer: Nein, denn alle Beteiligten sind überzeugt: Es besteht noch viel Luft nach oben. Der bisherige Erfolg spornt uns an und macht Lust auf mehr. Das Sich-verändern und -entwickeln beginnt den Leuten sozusagen Spaß zu machen und genau dies möchte ich erreichen. Deshalb werden wir mit Herrn Doll weiter daran arbeiten,  unsere Innovationskraft und Produktivität zu erhöhen, damit wir mittel- und langfristig für den Wettbewerb gewappnet sind.

? Herr Brauer und Herr Doll, danke für das Gespräch!

Lukas Leist

Zu den interviewten Personen:

  • Gerhard Brauer leitet seit fast 25 Jahren als hauptamtlicher, geschäftsführender Vorstand die Geschicke der Winzergenossenschaft Ruppertsberger Weinkeller Hoheburg eG, Ruppertsberg (Pfalz)
  • Klaus Doll ist Inhaber der Klaus Doll Organisationsberatung, Neustadt an der Weinstraße, … und ein passionierter (Wein-)Schorle-Trinker.